Die Macht des Getriebenseins

Newsletter  |  Juli 2015

„Wer eine machtvolle Position bekleidet, kann machen, was er will“, ist eine Aussage, die in Diskussionen über Macht oft zu hören ist. Viele glauben, wenn man einmal ganz oben sei, könne man alle anderen nach der eigenen Pfeife tanzen lassen und brauche sich nur noch darum zu kümmern, Wettbewerber in Schach zu halten, die einem die Position streitig machen könnten. Aber reicht das auch, um langfristig erfolgreich und gesund zu führen?

In manchen Bereichen sind starke Führende überlebenswichtig, wie bei der Feuerwehr, wo das Team ohne Wenn und Aber dem Einsatzleiter folgen muss. Doch das bedeutet nicht, dass er machen kann, was er will: Auch ein Anführer braucht Legitimation und Respekt von seinen Untergebenen, um seine Macht wirksam zu machen. Beides muss er sich immer wieder erarbeiten. Denn wer sich von seinem Chef nur angetrieben fühlt, ohne ihn zu

respektieren, macht mit großer Wahrscheinlichkeit keine herausragende Arbeit.

Mit anderen Worten: Macht braucht Legitimation, um sich wirklich zu entfalten und nicht auf permanente Kontrolle angewiesen zu sein. Und sie taugt nicht zum Selbstzweck, sondern braucht Inhalte und Ideen, die alle Beteiligten teilen. Minimale Kontrolle und gemeinsame Ideen: zwei exzellente Mittel, um leichter voranzukommen.

Macht braucht Inhalt und Richtung

Wenn Teammitglieder an Entscheidungen von oben zweifeln, sich nicht gehört fühlen, die Wirksamkeit ihres Einsatzes nicht erkennen können, sich nicht anerkannt und vielleicht sogar schlecht behandelt fühlen: dann sind möglicherweise Inhalt und Zweck des gemeinsamen Tuns außer Sicht geraten. Das Team wird antriebslos und verliert die Lust. Im Gegenzug „muss“ es angetrieben werden, und die Kraft des Antreibers und die der Angetriebenen sind wie zwei Ströme, die gegeneinander ankämpfen. Man arbeitet sich an den Aufgaben und an einander ab, ohne zu wissen, wofür, und ohne zu erkennen, dass die Mühe etwas bringt. Das Miteinander wird nur noch vom formalen Machtgefüge zusammengehalten, der Inhalt spielt keine Rolle mehr, und die Richtung ist ein dunkler Tunnel. Die Macht ist von den weniger Mächtigen nicht mehr legitimiert.

 

Die Antreiber können Getriebene sein

Wer sich getrieben fühlt, hat den Eindruck, eine höhere Instanz sitze ihm im Nacken. Das ist beileibe kein Gefühl von Macht, sondern eher von Ohnmacht. Von außen betrachtet, kann es mächtig wirken, aber der oder die Getriebene fühlt sich nicht wie ein Treiber. Tatsächlich ist niemand bereit, freiwillig diese Antreiberposition zu übernehmen. Vielleicht könnte man sagen: das Gefühl, getrieben zu sein, hat selbst die Macht übernommen und ist zum Antreiber geworden. Wer sich getrieben fühlt, hat den inneren Halt und ein Gefühl für sich selbst verloren und findet keine Ruhe mehr. Mehr Umsatz, höhere Margen, mehr Kunden, mehr Projekte, größere Zukäufe – meist hat es mit einer Form von „Mehr“ zu tun. Es ist mächtig, aber man selbst hat keine Macht mehr darüber. Wer sich so getrieben fühlt, neigt dazu, selbst auch zu treiben – nicht reflektiert oder vorsätzlich, nicht einmal bewusst vielleicht. „Es“ lässt einem keine Ruhe mehr, und man selbst lässt den anderen keine Ruhe mehr. Ruhe oder Stille würde sich wie Stillstand anfühlen, und der darf nicht sein.

Getrieben zu sein, macht blind

Macht zu haben, kann blind machen für alles, was nicht mit Macht zu tun hat. Getrieben zu sein, kann ebenso wirken. Rast- und Ruhelosigkeit verhindern, dass man innehält und sich fragt, warum und wozu man etwas so und nicht anders entscheidet. Die ursprünglichen Gründe und Anliegen können gut und sinnvoll gewesen sein, aber sie haben sich vom Kontext gelöst oder sind in Vergessenheit geraten.

 

Ein Geheimnis guten Führens liegt darin, mitzubekommen, was um einen herum und im eigenen Inneren geschieht. Dann ist man präsent, in Kontakt mit der Umgebung und mit sich selbst, und man kann kommunizieren und interagieren. Wer getrieben ist, von was oder wem auch immer, verliert diesen Kontakt. Nicht zuletzt wird man einsam, denn wie man sich selbst wahrnimmt und wie man wahrgenommen wird, klafft weit auseinander – was wiederum die Dynamik noch verstärkt.

Schließlich ist zu bedenken, dass Macht nicht vor Fehlern schützt oder davor, wichtige Dinge zu übersehen. Wer als mächtiger Mensch konstant eigene Fehler ausschließt, hat es schwer, mit anderen gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten. „Ich übernehme die volle Verantwortung“ oder „darin habe ich seit 30 Jahren Erfahrung“ ist kein Ersatz für ein Miteinander auf Augenhöhe. 30 Jahre sind reichlich Zeit, um so einiges falsch zu machen. Menschen brauchen das Gefühl, dass ihre Kompetenz gefragt ist und bei wichtigen Entscheidungen eine Rolle spielt. Wer einsam arbeitet, wird auch am Ziel  einsam sein – und alle Mitstreiter ebenfalls einsam machen.

Macht darf Veränderung nicht im Wege stehen

Wer eine Machtposition hat, hat Möglichkeiten, die andere nicht haben. Diese optimal zu nutzen ist eine Kunst: An manchen Stellen sind Kontrolle und Autorität der richtige Weg; an anderen das exakte Gegenteil: Sicherheit geben und Beweglichkeit ermöglichen. Manchmal ist beides gleichzeitig gefragt. Klares Kommunizieren und aufmerksames Zuhören helfen auf jeden Fall, um in Machtpositionen hineinzuwachsen.

Es sind die Mächtigen, die den größten Spielraum für Veränderungen haben – nutzen Sie ihn!