Schwellenzauber: weitergehen, auch wenn es schmerzt

Newsletter  |  September 2019

In WIR-Projekten, in denen es um die Kultur geht und darum, wirklich besser zu werden, hängt man nach großen Durchbrüchen oft in seltsamen Phasen fest  und kommt nicht mehr voran. „Wozu machen wir das hier eigentlich,“ fragt man sich dann.

Erinnern Sie sich an die Vier Phasen-Sicht? Sie hilft dabei, Geduld und Fassung zu bewahren, wenn Prozesse, in denen etwas heranwachsen soll, in dieses Stadium kommen: Man ist nämlich in Phase 2.

WIR-Projekte in Teams (auch in Familien) können da die Beteiligten so herausfordern, dass sie von zügigem und geschmeidigem Vorankommen nicht einmal mehr träumen können. Aber es geht ja auch gerade darum, Schwellen zu überschreiten und Komfortzonen hinter sich zu lassen, damit etwas wirklich Neues entstehen kann.

Die gute Nachricht: Man kann lernen, mit diesen Schwellen umzugehen, im Prozess zu bleiben und sich weiter zu bewegen – weiter, als man jemals vorher gekommen ist. Bis man an die nächste Schwelle kommt …

Höhere Gewalt?

Ein Projekt zur Unternehmenskultur: es läuft gut, die Führungspersonen sind in ihrem jeweils eigenen Stil engagiert dabei. Zusätzlich hat sich eine Gruppe engagierter Freiwilliger aus der Mitarbeiterschaft formiert, um das Projekt zu begleiten, es mit Informationen „von unten“ zu versorgen und es im Unternehmen zu promoten.

Und dann meldet sich die Zentrale und braucht dringend eine Analyse der aktuellen Arbeitsprozesse sowie Vorschläge, wie man sie verbessern könnte. Sofort, mit oberster Priorität. Dass gerade ein Projekt mit viel freiwilligem Engagement läuft, ist dort  nicht bekannt.

  • “ Wenn die sich melden, Analyse wollen und dann noch nach Wünschen fragen, kann das nichts Gutes bedeuten“, sagen die einen.
  • „Super, dass die nach Wünschen fragen, dann schaffen wir endlich die Stechuhr ab“, sagen die anderen.
  • „Ich hab’s doch gewusst, diesen ganzen esoterischen Quatsch mit der Teamkultur braucht doch kein Mensch“, sagen einige leise.

Eine geniale Idee, aber…

Die Führungspersonen setzen sich schließlich zusammen und entwickeln eine Idee: Wir nutzen das Kulturprojekt und das, was wir da für unser Miteinander erarbeiten, um die Prozessanalyse möglichst leicht und schnell gemeinsam hinzukriegen. Da haben wir jetzt einen Praxisfall, in dem wir anwenden können, was wir erarbeitet haben. Und wir sind schon so gut, dass wir Antworten geben können, zu denen die da oben noch nicht einmal die richtigen Fragen kennen.
Begeisterung ist für einen Moment im Raum, doch verkriechen sich in den nächsten Wochen manche und warten lieber erstmal ab. Gleichzeitig machen sich einige ans Werk, auf „alte“ Art und eigene Faust technische Analysepapiere herzustellen. Und die Zeit vergeht.

Die Natur von Schwellen

Das bisherige Knowhow reicht immer exakt bis zur Schwelle. Jenseits wird etwas gebraucht, von dem man allenfalls eine Idee hat, aber nicht mehr.

Das ist die Natur der Schwelle; an ihr entscheidet sich:

  • Ist der Wunsch nach Neuem stark genug, um weiterzugehen?
  • Ist der Entschluss, nicht weitermachen zu wollen wie bisher, stärker als der Schmerz, den ein Rückzug auf das Alte auslösen würde?
  • Ist genug Vertrauen da, um etwas zu wagen?
  • Will man wirklich die Verantwortung für etwas Neues übernehmen?

 

Schwellenzauber

Eine Entscheidung muss getroffen werden: Wir gehen los, richten unsere Aufmerksamkeit auf den Weg und vertrauen darauf, dass etwas Gutes entstehen wird.

Dieses Vertrauen erlaubt eine zweite Entscheidung: Ja, wir werden für den Weg die richtige Unterstützung bekommen. Einen Teil davon haben wir vielleicht schon im Gepäck, ohne es zu wissen, und alles weitere wird sich erschließen.

Schwellenzauber funktioniert leichter, wenn man nicht allein ist, sondern sich mit anderen gemeinsam auf den Weg macht.

Aus höherer Gewalt wird höhere Unterstützung

Das beschriebene Projekt geht so weiter: In der Freiwilligengruppe brechen Konflikte auf, die sich am Umgang miteinander entzünden: auf der einen Seite das faktenorientierte Gewohnheitshandeln und auf der anderen Seite der Wunsch, eine neue Art von Miteinander als Basis für erfolgreiches Zusammenarbeiten aufzubauen:

  • “Woran könnte man Wertschätzung erkennen?“
  • oder „Niemand soll bei uns alleingelassen werden!“
  • oder „Wie sieht Respekt aus?“

Diese Botschaften und Aktivitäten werden schließlich auf der Führungsebene wahr- und ernstgenommen und verändern auch deren Kommunikation mit der Zentrale.

Bald sind immer mehr Mitarbeitende stolz darauf, zu der Organisation zu gehören, die das geschafft hat. Ihr Stolz führt zu einer neuen Sicht auch auf ihre Kunden und den Umgang mit ihnen.

Ein Traum: Vielleicht schickt die Zentrale bald eine Delegation los, um herauszufinden, wie sie diesem Beispiel folgen könnte?